Freitag, 30. August 2013
I
Lieber ...,
ich weiß, Du hasst solche Nachrichten von mir, aber ich verspreche hiermit feierlich, dass diese weder Vorwurf noch Anklage noch Sonstiges enthält, im Gegenteil, bei den Gedanken, die mir gerade vorschweben kommst Du sogar ziemlich gut weg :-P
Ich will Dir sagen, dass ich Dich vermisse. Ich weiß gar nicht so sehr warum, vielleicht sind es die guten Gespräche, vielleicht der Sex, vielleicht das Gefühl, dass ich in Dir jemanden hatte, an den ich mich anlehnen konnte und der mich auch tatsächlich halten konnte. Vielleicht ist es auch eine gesunde Kombination aus allem.
Ich schreibe das, ohne zu wissen, ob ich das jemals abschicken werde und wenn ich es tue, bleibt dieser Satz drin stehen, denn ich werde es ungelesen raus schicken. Ich mach das hier auch nicht, weil ich noch weiter um Dich kämpfen will, dazu fehlt mir einfach die Kraft und ich denke, das hat keinen Sinn mehr, ich habe gegeben was ich konnte und das war nicht genug. Und wenn es damals zu wenig war, dann ist es das auch heute :-)
Ich brauche den Text, um meine Gedanken zu sortieren. Meine Tage sind voll mit O-Tönen, Schneideprogrammen, speichern, Reportagen, Reportern, Moderatorenteams, Sendebeiträgen... Ich hetze von Termin zu Termin, fühle mich langsam als vollwertiges Mitglied beim Hörfunk (eines, das als Praktikantin ganz unten in der Nahrungskette steht, aber eines, mit dem man Scherzen und sich Kabbeln kann) und hoffe, dass mich das auch in den kommenden Monaten in der anderen Redaktion erwartet. Ich habe tagsüber keine Zeit an Dich zu denken, aber morgens, wenn ich meinen Kaffee auf dem Balkon trinke, oder abends, wenn meine Mitbewohnerin und ich pennen gehen, dann denke ich viel an Dich. Ich versuche immer noch erfolglos Deinen Standpunkt zu verstehen, aber ich ich habe meine Wut überwunden. Ich bin einfach nur noch traurig und...müde? Na gut, ich liege nach einem verhältnismäßig langem Arbeitstag im Bett, selbstverständlich bin ich müde, aber das ist nicht die Müdigkeit die ich meine. Ich bin müde von mir selbst, von meiner Unfähigkeit zu akzeptieren und loszulassen.
Ich bin mit dem Gedanken aus Flensburg weggefahren, ich habe am letzten Ortsschild noch zurück geblickt, dass alles was in Flensburg passiert ist, auch da bleibt und das ist mir bei allen Dingen mit Bravour gelungen... nur bei Dir nicht. Es ist nicht Wut, das sagte ich, es ist Trauer und Enttäuschung vor meiner eigenen Unfähigkeit. Ich habe das Gefühl versagt zu haben, die Dinge falsch gemacht zu haben. Hätte ich doch dort bleiben sollen? Kiel und Neuseeland canceln und in Flensburg bleiben?

Ich bin jetzt offiziell BA, es stünde mir nichts im Weg, eben diesen einzuschlagen. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob der jetzige Weg mich glücklich macht, oder nur einsam. Ich habe ja nicht nur Dich zurück gelassen, sondern auch alle meine Freunde, ein Stück Heimat, etwas, wo mein Herz dran hängt. Ich liebe Flensburg! Und ich liebe so viele Menschen die dort wohnen und manchmal fühle ich mich, als hätte ich dies alles mit Füßen getreten und wäre, undankbar schreiend fortgelaufen, weil ich dachte, dass MIR das Leben doch noch mehr zu bieten haben müsste.
Ich denke, dass hat es nicht. Auch wenn mir der Vizechef meiner Abteilung sagt, dass ich großes Potenzial habe. Auch wenn Neuseeland lockt. Ich bin nichts Besonderes, ich bin nicht außergewöhnlich, ich bin nicht gut genug, um vom Leben mehr erwarten zu dürfen, als ich in Flensburg hatte. Und das, was ich dort hatte, habe ich das versaut?

Es ist wohl unfair, einem Menschen so etwas zu wünschen, es ist auch eher ein Wunsch für mich, der Wunsch, dass Du auch manchmal an mich denkst, dass Du mich nicht so einfach vergisst. Dann ist es aber auch der Wunsch, dass ich Spuren in Deinem Leben hinterlassen habe. Dass wir uns wieder erkennen, falls wir uns jemals wieder sehen.

Ich muss gelegentlich gegen das Bedürfnis ankämpfen, Dir Kleinigkeiten erzählen zu wollen, zum Beispiel, dass von uns beiden geschätzte Prominenz neulich im Funkhaus war, oder das xxx ein Mistkerl ist ;-). Ich bin mir sicher, dass Du mir über solche Infos nicht böse wärst, es ist nur so, dass mich eine solche Konversation einfach quälen würde.
Ich glaube, ich möchte Dich nicht mal zurück haben. Also, ja, doch, irgendwie schon, aber ich kann durchaus damit leben, wenn es nicht so ist. Es ist mehr diese gnadenlose Selbstverachtung und die großen Zweifel die Du aufgeworfen hast, auch wenn Du das sicher nicht wolltest. Denn so viele Details ich auch vergesse, so quälend genau erinnere ich mich an unser letztes Gespräch am Hafenbecken, an dem Du stockbesoffen warst und ich leider unendlich nüchtern war. Ich weiß nicht, wie viel Du noch erinnerst, ich will es auch nicht alles wieder ausgraben, ich möchte nur zwei Szenen wieder nennen, wenn Du so willst, als Verifizierung meiner nicht aufgestellten These.
Das erste war der Punkt, an dem Du mir sagtest, ich sei ein viel zu guter und schöner Mensch. Damit hast Du mich mehr angegriffen, als Du vielleicht ahnst, weil es ziemlich genau das schwarze Loch in meinem wunden Punkt trifft. Weil ich mich selbst so unglaublich abstoßend und hässlich finde.
Das zweite ist der Satz, den Du mir sagtest, als Du mich zum x-ten Mal in den Arm genommen hast: „Genau hier gehörst Du hin!“ Hätte ich dort bleiben können, wenn ich in Flensburg geblieben wäre? Hätte dann einmal alles gut werden können? Das sind die Dinge, die mich in meinen Träumen quälen, weil ich sie vergessen will und vergessen muss und ich gehe mir selbst auf die Nerven damit, dass ich das nicht hin bekomme. Potenzial hin oder her, wenn ich es nicht mal schaffe, mich ein bisschen zusammen zu reißen und Stärke zu beweisen und mein Leben in den Griff zu bekommen, dann nützt mir alles Potenzial nichts.

Ich hab mich nach diesem Freitag mit meiner bislang schwersten Depression ins Bett gelegt, ich konnte nicht mal mehr meinen Freunden ein Lebenszeichen geben, bis die irgendwann vor meiner Tür standen, nur Dir konnte ich noch ein letztes Mal auf den Pelz rücken. Das sollte auch das letzte Mal bleiben, jetzt sitze ich wieder hier und schreibe Dir. Wobei ich mir immer noch nicht sicher bin, ob ich das abschicke, zum einen, weil es sehr lang geworden ist und Du ja nicht so fürs Lesen bist, zum zweiten, weil es ätzend gefühlsduselig und nervig ist, zum dritten, weil ich jetzt dauern darauf warten werden, dass Du mir antwortest und zum vierten, weil ich selbst beim Schreiben jetzt schon viel ruhiger geworden bin. Drücke mir die Daumen, dass ich jetzt vielleicht endlich mal wieder eine Nacht friedlich durchschlafen kann...

Ok, ich muss wohl revidieren, was ich am Anfang schrieb, denn wenn man will, findet man hier durchaus einen Vorwurf nach dem nächsten, aber eigentlich will ich Dir keine Vorwürfe machen. Haste auch nicht verdient. Aber jetzt habe ich auch keine Lust mehr, groß an irgendwelchen Formulierungen zu feilen, Du bist intelligent genug um zu verstehen, was ich sagen will, außerdem kennst Du mich gut genug :-).
Und ich habs doch nochmal gelesen. Das ist so ein typischer Brief, bei dem ich selbst mit den Augen rollen würde, würde ich ihn als Unbeteiligte lesen, bei dem ich irre gerührt wäre, wenn ich sowas bekommen würde, bei dem jeder Normalo die Hände über den Kopf zusammen schlägt, bei dem ich langsam über mich selbst grinsen muss und der genau den Zweck erfüllt, den er erfüllen sollte: dass es mir besser geht. Top Sache ;-)

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